Die Benin-Bronzen sollen "zurückgegeben" werden. An wen denn? Niemand interessiert sich für die historischen Tatsachen zum Thema Sklaverei. Ausnahmslos alle Schuld an den einst lukrativen Tauschgeschäften wird einfach dem weißen Mann zugeschoben.
Die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth will Rückgabe der Benin-Bronzen und anderer Objekte aus dem früheren nigerianischen Königreich Benin in deutschen Museen „aktiv vorantreiben“. Der Aktionismus um die Benin Bronzen dient aber vor allem der Befriedigung einer politischen Diskussion, die weniger mit den Objekten selbst zu tun hat, sondern eine moralische Frage darstellt. Niemandem ist gedient, wenn man sie zurückgibt und es dann noch Jahre dauert, bis ein Museum in Benin City gebaut und fertiggestellt wird.
Zu dem Blut, das an den 4.000 Bronzen klebt, anlässlich der dreitägigen Plünderung 1897 durch die Briten, gehört auch das der Sklaven, die vom Kriegerstaat Benin gegen das aus Europa stammende Material zur Herstellung der Kunstwerke eingetauscht wurden. Das Kupfer der Beninbronzen stammte aus Tiroler Bergwerken der Fugger. Der Bronze-Rohstoff wurde meist durch das Einschmelzen von Bronze-Manillen gewonnen. Das sind Armreifen im Gewicht von je etwa 750 Gramm. Sie dienten Händlern als Zahlungsmittel, um Sklaven von afrikanischen Sklavenhändlern zu erwerben. Aus dem Metall schufen Beniner Bronzegießer ihre Kunstwerke. Von den etwa 11 Millionen Schwarzafrikanern, die zwischen 1519 und 1867 nach Amerika versklavt wurden, sollen etwa 18 Prozent aus dem Königreich Benin oder anderen Teilen Nigerias stammen.
Die Strafexpedition der Briten gegen das historische Benin ist erfolgt, nachdem acht unbewaffnete Europäer und zahlreiche afrikanische Träger, Dolmetscher und Diener auf dem Weg zum König von Benin getötet worden waren. Zwei Briten und 55 Afrikaner konnten fliehen.
Sklavenhändler oder Geschäftsmann
Während die Diskussion über Sklaverei in Westeuropa und den USA immer schriller wird, bekennt sich die nigerianische Journalistin und Bestsellerautorin („Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy“, deutsch, dtv 2011) Adaobi Tricia Nwaubani dazu, dass ihr Vorfahre ein Sklavenhändler – sie bezeichnet ihn eher als Geschäftsmann – war. „My Nigerian great-grandfather sold slaves“ (BBC Online, 19.7.2020). Sie deutet damit an, dass die Geschichte der Sklaverei ein vielschichtiges Thema ist, komplex, und dass nicht mit simplen Schwarz-Weiß-Bewertungen gearbeitet werden kann. Adaobi Tricia Nwaubani schreibt, dass einer ihrer Vorfahren Sklaven verkaufte, argumentiert aber, dass er nicht nach den heutigen Normen oder Werten beurteilt werden sollte: Mein Urgroßvater, Nwaubani Ogogo Oriaku, war das, was ich lieber als Geschäftsmann bezeichne, aus der Volksgruppe der Igbo im Südosten Nigerias. Er handelte mit einer Reihe von Waren, darunter Tabak und Palmenprodukte. Er verkaufte auch Menschen: „Er hatte Agenten, die Sklaven von verschiedenen Orten gefangennahmen und sie zu ihm brachten“, erzählte mir mein Vater. Die Sklaven von Nwaubani Ogogo wurden über die Häfen von Calabar und Bonny im Süden des heutigen Nigeria verkauft. Menschen aus ethnischen Gruppen entlang der Küste, wie die Efik und Ijaw, fungierten gewöhnlich als Stauer für die weißen Händler und als Mittelsmänner für Igbo-Händler wie meinen Urgroßvater. Sie be- und entluden Schiffe und versorgten die Ausländer mit Lebensmitteln und anderen Vorräten. Sie handelten Preise für Sklaven aus dem Hinterland aus und kassierten dann sowohl von den Verkäufern als auch von den Käufern Lizenzgebühren. Nwaubani Ogogo lebte in einer Zeit, in der die Stärksten überlebten und die Tapfersten überragten. Das Konzept „alle Menschen sind gleich geschaffen“ war der traditionellen Religion und dem traditionellen Recht in seiner Gesellschaft völlig fremd. Die Beurteilung der Menschen der Vergangenheit Afrikas nach heutigen Maßstäben würde uns dazu zwingen, die Mehrheit unserer Helden als Schurken abzustempeln.“ Wen interessieren die historischen Tatsachen zum Thema Sklaverei, wenn man doch weiß, dass an den lukrativen Tauschgeschäften alle Schuld beim weißen Mann zu suchen ist?
Schuldvermutung als Schablone
Die Schweizer Wissenschaftlerin Brigitta Hauser-Schäublin, emeritierte Professorin für Ethnologie an der Georg-August-Universität Göttingen, in der FAZ am 12. Januar 2022, Seite 12: „Niemand hat je nach dem Verbleib der Schätze jenseits der berühmten Bronzeköpfe und -platten gefragt, die der König von Benin ebenfalls in seiner Schatzkammer aufbewahrte. Reginald Bacon, der Kommandant der britischen Strafexpedition von 1987, stieß dort auf Gehstöcke aus Glas, alte Uniformen, auffällige Schirme und verschiedenen Putz. Bacon bezeichnete diese Dinge als Krimskrams. Aber für die Benin-Herrscher müssen sie einen besonderen Wert besessen haben. Wert konstituiert sich nicht zwangsläufig über Marktwert und Geld, auch wenn die Restitutionsdebatte implizit davon ausgeht. Ist „Identität“ an Geldwert gebunden – selbst dann, wenn die zurückgeforderten Objekte Symbole der Unterdrückung des Volkes durch eine gewaltbereite aristokratische Elite und Ausdruck menschenverachtender Praktiken waren, wie dies bei den Benin-Bronzen der Fall ist. An anderer Stelle schreibt sie: „Es steht außer Frage, dass es grauenhafte koloniale Verbrechen gab, wie der Genozid in Namibia, aber diese waren Ausnahmen, kein systematisches Ziel... Das Prinzip der Schuldvermutung dient als Schablone, um komplexe koloniale Vergangenheiten nach weißen Tätern und kolonialen Opfern zu durchforsten – und alles wegzulassen, was nicht ins Raster passt.“ [Z.B. auch die grausamen Menschenopfer an den Altären der Ahnen, auf denen manche Bronzen aufgestellt waren. Die Ahnen und die Könige sollten durch die Trophäenköpfe der Rivalen, die die Könige besiegt und enthaupteten ließen, magisch gestärkt werden.]
Bedenkenswerter Vorschlag
Der Philosoph Kwame Anthony Appiah (New York University), Sohn einer Britin und eines Ghanaers, hat kürzlich einen bedenkenswerten Vorschlag gemacht, sämtliche kolonialen Kulturgegenstände sollten in die Treuhänderschaft der Orte gegeben werden, an denen sie gegenwärtig befinden. Statt über Besitzfragen zu streiten, solle man sich um „Interpretation und Zugang“ kümmern und das Modell des Universalmuseums auch nach Mali oder Ghana exportieren. Mit dem Konzept des nationalen Kulturerbes komme man in Afrika nicht weiter, weil Besucher etwa des nigerianischen Nationalmuseums die Objekte nicht dem Staat Nigeria, sondern der Volksgruppe der Yoruba, Igbo, Haussa „oder einer von hundert anderen Identitäten“ zurechneten.
Auch Teju Cole geht in seinem Bestseller „Jeder Tag gehört dem Dieb“, Suhrkamp, 2016, auf das leidvolle Geschäft mit Sklaven ein: „Die Bruderkriege der Yoruba im achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert kurbelten den transatlantischen Menschenhandel enorm an. Es gab ständig Auseinandersetzungen zwischen den Ijebu, den Egba, den Oyo, den Ibadan und vielen anderen Yoruba-Gruppen. Manche der kleineren Populationen wurden wahrscheinlich ausgelöscht, als die größeren Volksgruppen ihr Territorium erweiterten und ihre Macht konsolidierten. Die Besiegten wurden aus dem Binnenland an die Küste gebracht und entweder an Zwischenhändler in Lagos oder in den Gemeinden entlang der Lagunen, die sich westwärts bis Ouidah erstrecken, verkauft. Diese wiederum veranstalteten die Auktionen, bei denen Engländer, Portugiesen und Spanier ihren Bedarf deckten und ihre Barracoons und Sklavenschiffe füllten. Einige dieser Stammeskriege wurden mit dem ausdrücklichen Ziel geführt, die Händler mit Sklaven zu versorgen. Fünfunddreißig britische Pfund für jeden gesunden Mann, das war ein lukratives Geschäft... Doch die Geschichte des Sklavenhandels an dieser Küste ist in Lagos unsichtbar. Kein Monument gedenkt dieser Wunde. Es gibt keinen Gedenktag, kein Erinnerungsmuseum.“ (S. 119–121)
Ich finde, die Anregung von Professor Appiah hat Charme. Warum sollen die Bronzen an die Profiteure und ihre Nachkommen in Nigeria zurückgegeben werden? Wurden die Nachfahren der als Sklaven gehandelten und ausgebeuteten Vorfahren der Afroamerikaner eigentlich jemals gefragt? Afrikanischen Regierungen und Bevölkerungen von heute steht die Aufarbeitung des Sklavenhandels noch bevor. Es ist ein unbewältigtes, verdrängtes Thema. Deshalb sollten einige Benin-Bronzen eher den Nachkommen der Sklaven in Amerika zugänglich werden, etwa im 2016 eröffneten National Museum of African American History and Culture in Washington, D.C. Weitere Artefakte könnten – wie Prof. Appiah vorschlägt – in Mali, Ghana oder anderswo in Afrika ausgestellt werden.
Doch vermutlich werden solche Vorschläge im Sinne des vorherrschenden Mainstreams wenig Beachtung finden. Doch sollte – so der Kultur und Medienberater Henry C. Brinker (u.a. Leuphana Universität Lüneburg) in einem Leserbrief am 8. Januar 2022 an die FAZ – in die Übergabeverhandlungen der Kunstrestitution zumindest von deutscher Seite der Schutz für Menschenrechte und der Schutz von Minderheiten (z.B. die Gewalt gegen Christen) im heutigen Nigeria einfließen.
Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).
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Author: Isaac Sherman
Last Updated: 1703152203
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