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Nur Baseball hält die USA noch zusammen - Welt


Wenn ich als Amerikaner in Europa eines nicht vermisse, dann ist es die Dauerberieselung durch Profisport in der Mainstream-Kultur der USA. Den Sportnachrichten entkommt man nirgends, man wird von ihnen bombardiert, und das fängt schon an, sobald man aus seinem Transatlantikflug ausgestiegen ist.

Kaum bin ich im Flughafen, laufe ich vorüber an Restaurants und Bars mit riesigen Monitoren, die drei, vier Events des Profisports simultan ausstrahlen, oder – schlimmer noch – Sport-Talkshows mit abgehalfterten Ex-Sportlern, die einander in voller Lautstärke überbrüllen. Auf den Minibildschirm im Taxi geht es weiter, in den Medien bei jedem Besuch, bei der Begegnung all der Leute in Trikots und Basecaps ihrer Lieblingsmannschaft.

Doch jetzt, in der Ära Trump, habe ich erkannt, welch wichtige Rolle die Allgegenwart dieses Phänomens haben kann, insbesondere was Baseball betrifft. Er ist quasi zum Kitt, zum Alleskleber geworden für das Land, aus dem ich komme. Er hält Freundschaften, Familien ja, die Zivilgesellschaft zusammen. In ihrer Leidenschaft für Baseball sind die Pro- und Anti-Trump-Fraktionen auf eine Weise verbunden, die sonst kaum noch anzutreffen ist. Tatsächlich stellt Sport inzwischen fast das einzige Thema dar, über das sich die beiden Lager ohne politische Anspannung austauschen können.

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Unlängst konnte ich das wieder deutlich erfahren, auf Besuch bei meiner Familie im Hinterland von New York. Nach der Landung am Newark Airport nahmen mein achtjähriger Sohn und ich den Regionalzug zur Penn Station in New York City. Mein Sohn ist ein großer Fan von erneuerbaren Energien, begeistert zeigte er aus dem Zugfenster mit seiner Kinderhand auf Solarmodule, die er draußen sah.

Sie gehörten zu einem Lagerhaus in New Jersey, und der Junge wollte vielleicht meine Behauptung widerlegen, dass die USA energietechnisch Europa hinterherhinken. Kaum hatte er seine Freude über die Solarmodule geäußert, als ein weißer Herr mittleren Alters neben uns unaufgefordert einwarf, diese Dinger seien „wertloser Schrott“, und es gäbe sie gar nicht, wären sie nicht staatlich „auf unsere Kosten“ subventioniert.

Donald Trump inszeniert sich gerne mit einem Baseball-Schläger und bringt sich so mit der beliebten Sportart in Verbindung

Donald Trump inszeniert sich gerne mit einem Baseball-Schläger und bringt sich so mit der beliebten Sportart in Verbindung

Quelle: picture alliance / Newscom

Da wir eine schlaflose Nacht hinter uns hatten und ich keinen Ärger anzetteln wollte, entschied ich mich, dazu vorerst zu schweigen, doch jetzt lag Gereiztheit in der Luft. Der Mann suchte nun freundlich zu sein, und stellte sich als Zahnarzt aus Colorado vor. Ich witterte einen Trump-Wähler, wollte aber, erst recht in Gegenwart meines Sohnes, kein Streitgespräch, und erwiderte: „Ah, ich wette Sie sind ein Rockies-Fan! Wie machen die sich in dieser Saison?“

Nur zu gern ging der Mann aus Colorado darauf ein und führte aus, das Los der Rockies sei derzeit leider nicht viel besser sei als das der Mets – „mein“ New Yorker Team. Beide bedauerten wir das Pech unserer Mannschaften, tauschten noch ein paar Baseball-Sprüche aus und hielten dann wohlweislich den Mund. Das unangenehme Gefühl, das sich vorher breit gemacht hatte, verflog – eins zu null für Baseball.

Ich habe auf dieser Reise im Sommer den Eindruck bekommen, dass sich Amerika der sozialen Brückenfunktion des Sports bewusster ist, als man zugeben will. Genau wegen dieser Rolle des Sports, so vermute ich, sind öffentliche Räume wie Flughäfen, Shopping-Malls oder Taxis so von der Allgegenwart des Sports geflutet. Hier haben wir ein kollektives Thema, das die wenigsten Leute beleidigt und die meisten interessiert. Dass es diese gewaltige Dimension annimmt, verhindert zerreißende politische Dispute – es verhindert allerdings auch, mit dem „anderen Lager“ überhaupt ins Gespräch zu kommen.

Vermutlich sind sich manche Sportfunktionäre und andere Sportakteure der zentralen Funktion ihrer Sache für die Einheit Amerikas sogar durchaus bewusst. Auch deshalb vielleicht werden bei Baseballübertragungen im Fernsehen weder Politik noch Rasse erwähnt – ganz im Gegensatz zu anderen beliebten Sportarten. Es scheint, als hätten wir mit dem Baseball eine unantastbare Metaebene, als könne in der Welt des Baseballs des Rest des uns allen Gemeinsamen weit über den Launen von Politik und Alltag schweben.

Derart gespalten ist das aktuelle Amerika, dass Baseball nun der wohl einzige Sport ist, der den Anspruch verkörpert, neutral oder unpolitisch zu sein (was er freilich beides auch nicht ist). Football jedenfalls, Amerikas zweitbeliebteste Sportart, wurde am Vorabend der Wahl 2016 „korrumpiert“, als der Star-Quarterback und der Trainer der New England Patriots öffentlich verkündeten, sie würden für Trump stimmen. Politisiert wurde Football auch durch die Weigerung einer Handvoll afroamerikanischer Spieler wie Colin Kaepernick, bei der Nationalhymne aufzustehen.

Ihr Protest galt der Polizeigewalt gegen Schwarze – doch er nahm der Mannschaft die Möglichkeit, so wie Baseball ein einigendes Wohlfühl-Potenzial zu entwickeln. Ebenso verlor der professionelle Basketball seinen Anspruch auf Neutralität, als afroamerikanische Spieler wie der Superstar LeBron James sich offen gegen Rassismus aussprachen. Schon lange vor Trumps politischem Aufstieg hatte ich übrigens weiße Männer abschätzig von Basketball als „afrikanischem Handball“ reden hören. Basketball war ihnen „zu schwarz“.

Es gibt demokratische und republikanische Sportarten

VIDEO: Soccer ⚽ will be more popular than BASEBALL ⚾ in the USA!? 😮
Sports Illustrated

Mit anderen Worten: Der Gesamtgesellschaft bleibt im Moment nur der Baseball. Andere Sportarten haben längst ihre Unschuld verloren. Autorennen, Golf und Hockey sind Domänen echter, rechter Republikaner. Fußball, Leichtathletik und Tennis sind typisch „demokratische“ Sportarten, viele ihrer Fans interessieren sich heutzutage sogar für die Frauenligen.

Jüngster Beleg für die politische Kluft in der Sportwelt waren die Verbalangriffe der Fußballerin Megan Rapinoe – nach dazu eine Lesbe! – gegen Präsident Trump. Das war das endgültige Aus für die Karriere des Frauenfußballs bei den Republikanern – obwohl die Frauen-Nationalmannschaft nachgerade emblematisch für amerikanischen Stolz stehen könnte, weil sie die internationale Konkurrenz bezwingt, und das Jahr für Jahr.

Alle meine Versuche, jenseits von Baseball gesellschaftlich relevante Themen aufzutun, bei denen sich Trump-Anhänger und Trump-Gegner friedlich begegnen oder sogar verbünden könnten, hatten nur kurze Zeit Erfolg. Einen Fall gab es auf dem Rummelplatz von Saratoga County Fest im Hudson River Valley.

Dort durften mein Sohn und sein Cousin zum ersten Mal alles ausprobieren, auch die Achterbahn, den Autoscooter und andere halsbrecherische Geräte, wenn auch in Begleitung Erwachsener. Nachdem man uns mit Hochgeschwindigkeit herumgewirbelt, auf den Kopf gestellt und auf und ab geschleudert hatte, taumelten Kinder wie Eltern kreidebleich aus den jeweiligen Spaßapparaten, froh, Nervenkitzel, Angst und Thrill gemeinsam überstanden zu haben, lachend und vergnügt.

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Doch schon Minuten später war es mit dem munteren Zusammenhalt vorbei. Die mit XXL-Zuckerwatte bewaffneten Kids der Trump-Nation machten sich auf den Weg zu einem Motorsport-Event, unsere Kinder strebten mit Zitronenlimo zum Zirkuszelt.

Vergangene Woche, auf der Rückreise nach Berlin, bot sich mir als letztes Bild vor dem Einsteigen ins Flugzeug ein überaus friedliches: Eine Sportbar am Flughafen mit vier Fernsehern, die vier Baseball-Spiele parallel zeigten, entspannt davor die aufmerksamen Zuschauer. Der Frieden war trügerisch, gewiss. Aber die Illusion, dass es ihn geben könnte, war einfach schön. Fazit dieser Reise im Sommer 2019: Das Einzige, was noch schlimmer ist als zu viel Baseball in den USA, ist zu wenig Baseball.

Paul Hockenos, 56, ist ein amerikanischer Politikwissenschaftler und Journalist, der seit den 80er-Jahren in Europa lebt

Paul Hockenos, 56, ist ein amerikanischer Politikwissenschaftler und Journalist, der seit den 80er-Jahren in Europa lebt

Quelle: privat

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Author: Christina Rodriguez

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